Für die einen ist die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) im Assetmanagement eine logische Weiterentwicklung und stiftet Mehrwert, für die anderen ist sie eine nicht greifbare diffuse Verunsicherung, angesichts eines potenziell drohenden Kontrollverlusts von Mensch an Maschine. Welcher Teil einmal überwiegen wird, wird sich erst zeigen. Es lässt sich allerdings bereits jetzt erkennen, welche Vorbehalte Investoren äußern, die nach aktuellem Stand als nicht zutreffend einzuschätzen sind.
Irrtum 1:
Hedgefonds-Dominanz
Viele Investoren befürchten, dass große Hedgefonds wie Renaissance Technologies, Two Sigma oder die Man Group den vorhandenen Pool an KI-Spezialisten absorbieren und den Markt in ein Oligopol verwandeln werden. Dies erscheint unwahrscheinlich. Das Anwendungsgebiet für künstliche Intelligenz ist dafür viel zu vielschichtig und vielseitig. Schließlich wird KI auf eine Vielzahl von verschiedenen Anlageklassen und Anlagestrategien angewendet. Auch die Auswahl der verwendeten Daten erweitert sich laufend, bis dato zu alternativen, unstrukturierten Daten wie Satellitenbilder oder Textnachrichten. Sowohl Branchenneulinge wie auch Ex-Mitarbeiter großer Finanzhäuser wollen sich mit ihren eigenen Strategien und Ideen durchsetzen. Eine Vertreterin dieser jungen Generation ist Renee Yao. Sie war zuvor schon für etablierte Investmentgesellschaften wie Citadel und Millennium tätig und gründete 2015 ihre eigene Investmentboutique Neo Ivy Capital. Das Unternehmen gilt als Paradebeispiel für einen jungen, fokussierten Assetmanager, der mit den Branchengrößen mithalten kann. Denn für die angewendete Statistical-Arbitrage-Strategie sucht ihr System rund um die Uhr automatisch nach Alpha generierenden Handelsmöglichkeiten in Aktienmärkten und wertet dabei unter anderem auch Social-Media-Nachrichten aus. Aber Neo Ivy Capital beschäftigt dafür nicht, wie die traditionellen Wettbewerber, ein Heer von Analysten und promovierten Wissenschaftlern, sondern ihre Algorithmen simulieren die Denkleistung menschlicher Gehirne. Die dafür benötigte enorme Rechnerleistung eines Supercomputers bezieht sie effizient aus der Cloud, indem sie ihrem Cluster nach Bedarf Server hinzufügen kann.
Trotzdem – die Entwicklung von KI-Strategien kostet viel Zeit und Geld. Es ist durchaus möglich, dass finanzstarke Marktteilnehmer ein Wettrüsten entfachen, bei dem viele nicht mithalten könnten. Spannend ist auch die Frage, ob Technologiegiganten wie Facebook, Google oder Amazon in den Finanzsektor drängen werden, um den etablierten Investmentgesellschaften den Markt streitig zu machen. Schließlich sitzen sie auf einem riesigen Datenschatz und sind auch ein wichtiger Wettbewerber um Talente, wie man an der rasant wachsenden Google-Tochter Deep Mind sehen kann.
Irrtum 2:
,,Black Box‘‘-These
Viele sehen ein Investment auf Basis von Algorithmen als eine ,,Black Box‘‘. Sie befürchten, die Investmententscheidungen der ,,intelligenten‘‘ Maschine könnten nicht mehr nachvollzogen werden. Tatsächlich haben zahlreiche Studien festgestellt, dass Investoren in der Regel Menschen gegenüber Maschinen als Entscheidungsträger präferieren, auch wenn die Datenlage für regelbasiertes Anlegen spricht. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Forschungsrichtung Behavioral Finance zeigt, dass sich Menschen als emotionale Wesen auf den Finanzmärkten überwiegend irrational verhalten.
Hier können KI-Strategien sogar zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen. Herwig van Hove, Gründer von Vahoca, hat in Zusammenarbeit mit G Squared Capital den Anlageprozess seines Hauses virtualisiert, mit dem er eine US-Aktienstrategie und eine globale Aktienstrategie mit Long- und Short-Elementen umsetzt. Eine Komponente seines Systems sind virtuelle Analysten, die Kauf- und Verkaufsempfehlungen für Aktien abgeben. Virtuelle Portfolio- und Risikomanager konstruieren anhand dieser Empfehlungen das Aktienportfolio. Van Hove betont, dass gerade durch den Einsatz von Maschinen die Transparenz der Entscheidungen erhöht wird. Seine Computer haben kein Bauchgefühl, verfallen keinen Emotionen und zögern nicht, Empfehlungen auszusprechen, die ein menschlicher Analyst als unpopulär empfinden würde. Bei jeder Transaktion kann van Hove zeigen, aufgrund welcher Fakten die Maschine ihre Entscheidung getroffen hat. Und dies sehr detailliert, da für jede Aktie mehr als 10 000 Datenpunkte aufbereitet werden – weit mehr, als menschliche Fondsmanager in der Regel nutzen bzw. verarbeiten könnten.
Irrtum 3:
Praxis-Lücke
Die letztlich entscheidende Frage lautet: ,,Welchen Mehrwert bringt der Einsatz von KI im Assetmanagement?‘‘ Oft wird der Vorwurf laut, Assetmanager mit KI-Unterstützung befänden sich mehrheitlich noch im Versuchsstadium. Jedoch ist die Entwicklung schon wesentlich weiter. Es gibt heute mehr als 50 Investmentboutiquen, die bereits über mehrere Jahre forschen, entwickeln und künstliche Intelligenz im engeren Sinne anwenden. Eine Reihe dieser Häuser konnte die in der Testumgebung erzielten Ergebnisse auch in realen Fonds und Depots in nennenswerte Performance umsetzen.
Ein sehr gutes Beispiel ist Guillaume Vidal, CEO der 2014 von ihm mitgegründeten Firma Walnut Algorithms.
Er wendet wie ein klassischer Commodity Trading Advisor (CTA) eine systematische Managed-Futures-Strategie an, die Long- und Short-Positionen in Futures-Kontrakten einnimmt. Der entscheidende Unterschied: Seine Algorithmen überwachen im Hintergrund laufend die erzielten Gewinne und können sich selbständig an geänderte Marktsituationen anpassen, ohne diskretionäre Eingriffe eines Programmierers. Durch den Einsatz von maschinellem Lernen kann das System aus sehr großen Datensätzen Muster herausfiltern, was zu präziseren Entscheidungen und schlussendlich zu einem profitablen Investment führt. Nach mehrjähriger Entwicklung handelt Walnut Investments seit Sommer 2017 die Strategie live an Terminbörsen. Die Resultate lassen sich sehen: In den ersten zwölf Monaten, vom 18. Juli 2017 bis 17. Juli 2018, wurde eine Nettorendite von 21,2% erzielt.
Fazit:
KI-basierte Strategien sind vielleicht noch nicht an der Schwelle zum Mainstream, aber dicht davor. Anleger sollten nicht die technologischen Entwicklungssprünge unterschätzen, die den Einsatz von künstlicher Intelligenz auch weiter unterstützen. Jedes Smartphone ist in Rechenpower und Fähigkeiten bei Text- und Spracherkennung inzwischen einem Supercomputer vom Anfang des Jahrzehnts überlegen, und diese Entwicklung geht ungebremst weiter. Unterm Strich braucht es aber Expertise und ein gut funktionierendes Netzwerk, um die passenden Anbieter für ein Investment zu finden.
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Günter Jäger, Managing Partner, PLEXUS Investments