Kaum ein Thema wird derzeit so kontrovers diskutiert wie der Einfluss von „Künstlicher Intelligenz“ (KI) oder „Artificial Intelligence“ (AI) auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und natürlich auch auf die Finanzindustrie. Auf der einen Seite gibt es Unterstützer, wie zum Beispiel den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der per Videochat mit der Zeitschrift „Wired“ über die Interessen Frankreichs bei KI diskutiert hat. Auf der anderen Seite zeigen die Vorgänge um Cambridge Analytica und Facebook die Gefahren und Grenzen des Einsatzes von intelligenter Software in Verbindung mit sehr großen Datenmengen.
Wir bei PLEXUS Investments beschäftigen uns intensiv mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Fondsmanagern und Vermögensverwaltern. Im Rahmen einer mehrteiligen Serie wollen wir dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen und aktuelle Trends aufzuzeigen. Wodurch unterscheidet sich KI von anderen Anlagestrategien? Welchen Einfluss haben die verwendeten Datenquellen? Wie kann man in KI-Manager investieren?
In diesem ersten Teil zeigen wir die Entwicklung der Finanzindustrie bis zum Aufkommen der KI. Denn erst diese Einordnung macht klar, dass wir es mit einem Paradigmenwechsel zu tun haben. Das Management von Kapitalanlagen lässt sich – vereinfacht – als Entwicklung in drei Schritten darstellen. Zunächst natürlich die fundamentale Analyse, dann die quantitativen Ansätze, und schließlich heute die Künstliche Intelligenz.
KI ist Folge des technologischen Fortschritts
Was wenig beachtet wird, sind die dramatischen Fortschritte bei den technologischen Möglichkeiten. Als Warren Buffett um 1969 sein Unternehmen Berkshire Hathaway zu einer Investmentholding umgebaut hat, hat IBM seine schrankgroßen Mainframe-Computer verkauft. Jeder handelsübliche PC arbeitet heute um den Faktor 20.000 schneller als die damaligen Hochleistungsmaschinen. 1982, als James Simons einen der bekanntesten quantitativen Hedgefonds gegründet hat, Renaissance Technologies, steckte die IT immer noch in den Kinderschuhen. Damals wurde der Commodore 64 zum Verkaufsschlager. Ein Computer mit 8-bit Prozessor und 64 KB Arbeitsspeicher. Und dennoch gelten die fundamentalen und quantitativen Investmentansätze aus dieser Zeit immer noch als führend.
Was viele nicht bedenken: Wir leben in einer Welt des exponentiellen Wachstums in der Technologie, sprich einer Verdopplung der Rechnerleistung oder Speicherkapazitäten alle 18 Monate seit nahezu 50 Jahren. Wir nehmen es als selbstverständlich an und unterschätzen völlig die Dramatik der Entwicklung. Eine handelsübliche Spielkonsole hat die Leistungsdaten eines 50-Millionen-Dollar-Supercomputers nur zehn Jahre davor. Die Rechenpower eines modernen Smartphones kann es locker mit einem High-End-Laptop aufnehmen, der nur wenige Jahre zuvor verkauft wurde.
Daher sind wir teilweise überrascht, dass „plötzlich“ völlig neue Ergebnisse auftauchen. Ein paar Beispiele: Erstmals war 2017 in Europa ein Elektroauto mit der Fähigkeit zum autonomen Fahren – Tesla Model S – das meistverkaufte Luxusauto, vor Mercedes S-Klasse und BMW 7er-Reihe. Die Mehrheit der Konsumenten geht mit dem Smartphone ins Internet, oft mehr als 100mal am Tag. Intelligente Software hat bereits Menschen in Schach, Poker, Go und Jeopardy geschlagen. Die Künstliche Intelligenz hat unserer Meinung nach das Potenzial, in vielen Bereichen eine disruptive Veränderung zu bewirken. Da wäre es auch aus unserer Sicht vermessen zu sagen, dass ausgerechnet in der Kapitalanlage sich keine neuen Ansätze im Zeitablauf durchsetzen werden. Daher glauben wir, dass wir uns jetzt damit beschäftigen müssen, um den Anschluss nicht zu verpassen!
KI-Manager unterscheiden sich durch die verwendeten Datenquellen
Eine gängige Definition von Künstlicher Intelligenz ist dabei schon erstaunlich alt: „Wenn Maschinen dazu gebracht werden können, Sprache zu benutzen, Abstraktionen vorzunehmen und Konzepte zu entwickeln, Probleme von der Art, die zurzeit dem Menschen vorbehalten sind, zu lösen, und sich selbst weiter zu verbessern“. So hat die Dartmouth Conference schon 1956 Künstliche Intelligenz beschrieben, diese gilt als die Geburtsstunde des Themas als akademisches Fachgebiet.
Ein mögliches Unterscheidungsmerkmal von einem KI-Manager und von einem traditionellen Vermögensverwalter sind unserer Meinung nach die Daten, die sie einsetzen. Traditionell konzentrieren sich Fondsmanager auf Finanzdaten, also Preis- und Volumensdaten von Wertpapieren und Indizes, Unternehmenskennzahlen und volkswirtschaftliche Indikatoren. Aber es gibt noch eine große Bandbreite an weiteren Daten. Wenn wir bei den Finanzdaten bleiben, dann hat man sich auf sogenannte strukturierte Daten beschränkt. Heute gibt es aber bereits Software, die zuverlässig und effizient auch sogenannte unstrukturierte Daten verarbeiten kann. Damit sind Informationen gemeint, die noch nicht in Form von Tabellen und Charts vorliegen, wie Finanznachrichten, Pflichtmitteilungen und Geschäftsberichte. Und das ist nur der Anfang.
Der nächste große Schritt, den die ersten KI-Manager schon vollzogen haben, ist der Einsatz von sozialen- und Umweltdaten. Da sind zum einen die großen Datenmengen, die Internetnutzer jede Minute produzieren und Aufschluss über ihr Verhalten und damit auch über wirtschaftliche Zusammenhänge geben können. Dann gibt es Wetterdaten, Wahlergebnisse, Satellitenbilder und viele andere Datenquellen. Auch hier unterscheidet man zwischen strukturierten Daten, die bereits aufbereitet vorliegen, und unstrukturierten Daten, wie Bilder, Zeitungsartikel und Social-Media-Aktivitäten, die mit meist speziell programmierter Software ausgelesen werden.
Die Branche der KI-Manager ist noch jung. Weltweit sprechen wir derzeit von 30 bis 40 Managern, die KI im engeren Sinne anwenden, allerdings wächst die Branche schnell. Unserer Meinung nach können bereits die ersten Cluster identifiziert werden, die von unterschiedlichen Ausprägungen der jeweiligen Asset Managern gebildet werden.
Die erste Rubrik sind Fondsmanager, die traditionelle Finanzdaten verwenden, diese aber mit KI-Techniken auswerten. Ein Beispiel für die zweite Rubrik wäre ein Vermögensverwalter, der zum Beispiel Zeitungsartikel und Social Media Beiträge nutzt. Diese werden automatisch und rund um die Uhr mit Hilfe von „Natural Language Understanding“ (NLU) ausgewertet. Ein drittes Segment lässt sich bei Unternehmen ableiten, welche die Geschäftsmodelle der traditionellen Finanzbranche in Frage stellen und als Outsider mit ganz neuen Ideen an das Asset Management herangehen. Hier gibt es zum Beispiel Asset Manager, die mit Datenwissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammenarbeiten. Diese haben sich bisher oft noch gar nicht speziell mit Finanzthemen auseinandergesetzt, sondern kommen zum Beispiel aus der Physik, der Geologie oder der Biologie, und wenden ihre Methoden und Kenntnisse aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz nun auf Indizes und Aktienkurse an. Die vierte Rubrik schließlich sehen wir bei Newcomern in der Finanzbranche, die auch alternative Daten verwenden. Ein sehr interessantes Unternehmen wertet zum Beispiel die Standortdaten von Mobilfunknutzern aus. Ziel ist es mit Hilfe von Big Data Rückschlüsse über Unternehmenszahlen zu gewinnen, bevor das Unternehmen die offiziellen Daten bekannt gibt.
Diese Newcomer, ob sie nun traditionelle Finanzdaten oder alternative Daten verwenden, haben den Vorteil, dass sie ein Modell auf einem weißen Blatt Papier entwerfen können und nicht in althergebrachten Analysetechniken „gefangen“ sind. Sie haben damit viel größere Freiheiten, in ihre Strategien von Anfang an Künstliche Intelligenz einzubauen, sie müssen nicht erst eine bestehende Struktur umbauen.
Im nächsten Artikel werden wir uns mit der Bedeutung der verschiedenen Datenquellen beschäftigen (strukturiert- unstrukturiert; klassisch – alternativ; soziale- und Umweltdaten), die für die Anwendung der Künstlichen Intelligenz entscheidend sind.